Bürgerrechtler und Dissidenten
Dissidenten und Bürgerrechtler in der DDR
Dissidenten und Bürgerrechtler übten öffentlich Kritik am System der DDR. Sie nahmen dafür bewusst Nachteile in Kauf.
Als Dissidenten bezeichnet man Systemkritiker in Diktaturen. Das Wort leitet sich ab vom lateinischen Verb dissidere, was "in Widerspruch stehen" oder "nicht übereinstimmen" bedeutet. Sie sagen öffentlich ihre Meinung, auch wenn sie für die Regierung unbequem ist.
Bürgerrechtler setzen sich insbesondere für die Menschen- und Bürgerrechte ein. In der DDR sahen sie diese verletzt. In den 1980er Jahren entstanden in der DDR immer mehr Gruppen von Bürgerrechtlern. Sie hatten großen Anteil an der friedlichen Revolution von 1989.
Systemkritik von links
Unter den Kritikern waren viele, die sich als Anhänger des Marxismus verstanden und durchaus für den Aufbau eines sozialistischen Staates waren - aber die Ausführung und damit den "real existierenden Sozialismus" missbilligten.
Bekannte Systemkritiker waren z. B. Rudolf Bahro und Robert Havemann. Auch Künstler wie Wolf Biermann, Stephan Krawczyk oder Stefan Heym gehörten dazu.
Verfolgung der Dissidenten in der DDR
Die Dissidenten wurden vom Ministerium für Staatssicherheit verfolgt. Während unter Ulbricht Verhaftungen und offener Staatsterror angewandt wurden, setzte man ab den 1970er Jahren auf eine andere Methode, die man als Zersetzung bezeichnet. Die Verfolgten wurden dabei seelisch zermürbt. Man vermied Inhaftierungen und offene Gewalt, um den internationalen Ruf nicht zu gefährden.
Beispiel Robert Havemann
Robert Havemann war Professor für Chemie an der Humboldt-Universität Berlin. Schon in den 1950er Jahren war er durch Kritik aufgefallen. Als er im Wintersemester 1963/64 eine systemkritische Vorlesungsreihe über "Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme" hielt, wurde ihm Lehr- und schließlich Berufsverbot erteilt und er wurde aus der SED ausgeschlossen.
Die erzwungene Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 kritisierte Havemann heftig. Er richtete einen öffentlichen Appell an Erich Honecker, der im westdeutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel veröffentlich wurde. Daraufhin wurden er und seine Familie am 26. November 1976 unter Hausarrest gestellt. Sie durften bis zum Mai 1979 ihr Haus nicht mehr verlassen. Rund um die Uhr wurden sie überwacht, auch nach Aufhebung des Hausarrests.
1982 veröffentlichte Havemann zusammen mit Rainer Eppelmann den Berliner Appell. Sie warnten darin vor einem Atomkrieg und forderten zur Abrüstung in Ost und West auf. Gefordert wurde außerdem das Recht auf freie Meinungsäußerung. 35 DDR-Bürger unterzeichneten den Berliner Appell, der ebenfalls im Westen veröffentlicht wurde.
Initiative Friede und Menschenrechte (IFM)
Eine der ersten Bürgerrechtsgruppen, die sich regelmäßig traf, war die Initiative Friede und Menschenrechte (IFM), die 1986 in Ost-Berlin gegründet wurde. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten Bärbel Bohley, Werner Fischer, Ralf Hirsch, Gerd und Ulrike Poppe und Wolfgang Templin.
Die IFM gab eine Zeitschrift heraus, den "grenzfall". Sie musste als Samisdat, eine politische Untergrundzeitschrift, heimlich gedruckt werden. Man arbeitete auch mit der Umweltbibliothek zusammen (siehe 1987). 1988 wurden mehrere Mitglieder der IFM verhaftet und in den Westen abgeschoben (1988).
Bürgerbewegungen 1989
Die Bevölkerung reagierte auf die Verhaftungen mit Protestaktionen, Mahnwachen und Fürbittengottesdiensten in mehr als 25 Städten. Im Herbst 1989 wurden dann weitere Bürgerbewegungen gegründet, darunter am 9. September 1989 im Haus von Katja Havemann, der Witwe von Robert Havemann, das Neue Forum.
Das Neue Forum wurde der größte und bekannteste Zusammenschluss von Bürgerrechtlern. Am 8. November 1989 ließ die SED das Neue Forum als politische Gruppierung zu.
Am 12. September 1989 wurde die "Bürgerbewegung Demokratie Jetzt" gegründet, am 1. Oktober folgte der "Demokratische Aufbruch" und am 7. Oktober 1989 eine Gruppe zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei (SDP). Alle forderten einen Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Demokratie für die DDR.
Über die Zeitschrift "grenzfall" und die Oppositionsarbeit der IFM gibt es einen Comic, siehe Buchtipps.
Blick voraus
Zur ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 gründeten IFM, Neues Forum und Demokratie Jetzt ein Wahlbündnis. Es nannte sich Bündnis 90.
Zu den ersten gesamtdeutschen Wahlen zum Bundestag am 2. Dezember 1990 traten die drei Gruppen zusammen mit dem Unabhängigen Frauenverband (UFV) und der Partei der Grünen in der Listenvereinigung "Bündnis 90/Grüne - BürgerInnenbewegung (B90/Gr)" an
In diesem Bündnis gingen die Gruppen im September 1991 auf. 1993 schloss sich das Bündnis 90 mit den Grünen zusammen (zur Partei Bündnis 90/Die Grünen).