Christian

Christian erlebt den Mauerbau

Am 10. August 1961 wurde ich 10 Jahre alt. Ich war ganz stolz auf diese neue Zahl, zweistellig! In wenigen Wochen würde ich in die 5. Klasse kommen. Russisch würde ich dann lernen. Ich war ganz gespannt darauf, denn immer wenn ich etwas auf Russisch sah, kam es mir so geheimnisvoll vor mit diesen seltsamen Buchstaben. Diese Geheimsprache wollte ich auch beherrschen!

Zu meiner Geburtstagsfeier kamen auch meine Oma und mein Opa, meine Tante Hanna und meine Kusine Petra. Sie wohnten nur wenige Straßen weiter, doch ihre Straße gehörte zu West-Berlin und wir wohnten in Ost-Berlin. Ich freute mich wie immer sehr sie zu sehen. Ich ahnte an diesem Tag nicht, dass ich sie alle erst mehr als zwei Jahre später wiedersehen sollte.

Am 13. August 1961 nämlich wurde plötzlich mitten durch Berlin eine Mauer gebaut. Über Nacht! Die ganze Sektorengrenze war abgeriegelt worden, überall standen Bautrupps und Volkspolizisten herum. Es war ein Sonntagmorgen. Als meine Eltern davon hörten, liefen wir auch hin, um zu gucken. Obwohl meine Großeltern nicht weiter weg wohnten als zuvor, waren sie nun nicht mehr erreichbar. Sie hätten ebenso gut auf dem Mond leben können. Das hat mich sehr traurig gemacht.

Zu Weihnachten 1963 wurde dann das Erste Passierscheinabkommen geschlossen. Oma und Opa durften uns besuchen! Ich war ganz schön aufgeregt und hab mich sehr gefreut. Leider durften sie auch nur einen Tag bleiben. In den nächsten Jahren trafen wir uns jedes Jahr bei uns. Wir durften ja nicht nach West-Berlin. Ostern 1966 kamen sie vorerst zum letzten Mal. Danach sahen wir uns mehrere Jahre nicht. Erst 1972 war das wieder möglich. Da war ich dann schon 22 Jahre alt.