Was war die Lebensreformbewegung?

Lebensreform

Die Lebensreformbewegung, die im Kaiserreich ihren Anfang genommen hatte, fand ihren Fortgang  in der Zeit der Weimarer Republik – wenn auch zum Teil unter anderen Vorzeichen. Zu diesen Reformbewegungen, die man als Lebensreform bezeichnet, gehörte die Hinwendung zur Natur und das Streben nach dem ursprünglichen, natürlichen Zustand. Man wollte Reformen in der Folge der Industrialisierung. Es gab verschiedene Bewegungen, die sich in vielen Vereinen orgnisierten und die sich bestimmten Themen widmeten, zum Beispiel der Ernährung, der Kleidung, der Naturheilkunde, dem Turnen oder der Freikörperkultur. Auch in der Architektur suchte man nach Reformen, etwa im Bau von Gartenstädten.
 

Jugend in Bewegung

In der Kaiserzeit war die Jugendbewegung entstanden. Die Zeit zwischen 1896 und 1913 nennt man auch die Wandervogel-Zeit. Viele Jugendliche, vor allem aus dem Bürgertum, fühlten sich zur Natur hingezogen, wanderten und sangen Volkslieder. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Jugendverbände der Wandervögel und Pfadfinder zur "Bündischen Jugend" vereint (siehe auch: Halt im Jugendverein).

Politische Aktivitäten nahmen zu. Zum Vorbild nahm man sich Ritter und Ritterorden. Zunehmend stand die Bündische Jugend in Konkurrenz zu den Jugendorganisationen der politisch aktiven Kampfverbände wie Hitlerjugend oder Rote Jungfront.
 

Singbewegung

Das Musizieren zu fördern und das Volkslied zu pflegen gehörte ebenfalls zur Jugendbewegung. In den zwanziger Jahren sprach man meist von der Singbewegung.

Als Musikinstrument war nach wie vor die Zupfgeige (auch Gitarrenlaute genannt) beliebt. Ab 1924 wurden auf Anregung des Musikerziehers Fritz Jöde Jugendmusikschulen gegründet. Jöde organisierte auch offene Singstunden auf Märkten und Plätzen.
 

Hin zur Natur und Nacktkultur

Neben Wandern und anderer Freizeitgestaltung in der Natur gehörte zu der neuen Bewegung hin zum "Körperlichen" auch die neue "Nacktkultur". Man nannte sie auch Freikörperkultur, abgekürzt FKK. Ihre Anhänger wollten alles Formelle abstreifen. Nackt waren alle Menschen gleich.

Man wollte "natürlich" leben, im Einklang mit der Natur und außerdem gesund. Dazu gehörten für viele der "Nudisten" Heilgymnastik, Sonnenanbetung, Wassertherapie oder Sauermilchdiäten!

1929 entstand der erste Nacktbadestrand, und zwar auf Sylt. Allerdings wurde das Nacktbaden 1931 wieder verboten, außer auf dem eigenen Vereinsgelände. 1932 gab es im Deutschen Reich in den Vereinen immerhin 100.000 FKK-Anhänger.
 

Reformpädagogik: Ein neuer Unterricht muss her

Zur Lebensreformbewegung gehört auch die Reformpädagogik. Sie wollte den Schulunterricht grundsätzlich verändern und den Drill der Kaiserzeit abschaffen.

Viele Forderungen der Reformpädagogen wurden aber nicht umgesetzt, zum Beispiel die nach einer Einheitsschule. In ihr sollten alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden, was die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems bedeutet hätte. Nicht durchgesetzt wurde auch die auf sechs Jahre verlängerte Grundschulzeit (siehe Schule in der Weimarer Republik).

Allerdings gab es mehrere Schulen, die mit neuen Konzepten experimentierten. Zu diesen gehörte zum Beispiel die "Schule am Meer", ein Internat auf der ostfriesischen Insel Juist. Es wurde mit Absicht in der Natur eröffnet, weit entfernt von großen Wohngebieten. Die Schule wurde im Mai 1925 eröffnet und bestand bis März 1934.