Hans
Leben in der Stadt
Ich bin Hans. Ich wohne in Berlin, im Wedding. Ich habe noch zwei kleine Schwestern und einen großen Bruder. Ich hatte auch noch einen kleinen Bruder, der Erich. Aber Erich ist vor zwei Jahren gestorben. Er war noch ein Baby. Der Winter war ganz schrecklich, wir hatten immer Hunger. Zu essen gab es nur noch Rüben: Rübenmus, Rübensuppe... Erich bekam die Grippe und weil er so geschwächt war, ist er dann gestorben.
Diesen Herbst ist es bis jetzt etwas besser. Aber Mutter muss lange anstehen, um mal etwas Milch oder Butter zu bekommen. Steckrüben gibt es immer noch oft zu essen. Oder Grütze. Na ja, wenn man Hunger hat, schmeckt alles.
Bei uns im Hinterhof ist immer was los. Alle Kinder treffen sich dort und wir spielen mit Murmeln oder Fangen oder mit dem Ball, den Fritz' Mutter aus Lumpen zusammengenäht hat. Manchmal muss ich aber auch auf Ilse und Anni aufpassen, so heißen meine Schwestern. Mein Vater ist noch im Krieg, er ist ja Soldat. Und meine Mutter, die steht jeden Tag in der Fabrik.
Gestern hat mir der Fritz erzählt, dass etwas Unerhörtes vor sich geht. In Kiel haben die Matrosen gestreikt und nun sind sie nach Berlin gekommen! Sie sind zu den Kasernen gezogen und haben die Soldaten überzeugt mitzumachen. Da sind wir natürlich heute erstmal zum Brandenburger Tor. Da war was los! So viele Menschen hab ich noch nie zusammen gesehen. Irgendwer rief dann "Scheidemann steht am Fenster vom Reichtstag!" Wir natürlich nix wie hin!
Und tatsächlich, da stand er mit seinem Spitzbart, der SPD-Mann. Er rief gerade "Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik!" Die Menschen jubelten und schrien. So richtig verstanden habe ich nicht, was das nun heißt. Aber der Kaiser ist jedenfalls weg und nun wird der Krieg endlich beendet. Hoffentlich gibt es dann bald wieder mehr zu essen!