Was und wo lesen die Kinder in der Kaiserzeit?
Drängeln in der Kinderlesehalle
Die Kinder in der Kaiserzeit lasen natürlich in der Schule, manche auch zu Hause. Die Voraussetzung fürs Lesen war allerdings, dass sie oder ihre Eltern sich überhaupt Bücher leisten konnten. Und dies war in der Kaiserzeit nur in bürgerlichen oder adeligen Familien der Fall. Nicht in jedem Haushalt standen Bücher. Kinder, die sich selbst keine Bücher leisten konnten, hatten die Möglichkeit, in eine Art von Bücherei zu gehen, die man "Kinderlesehalle" nannte. Diese Lesehallen waren die Vorläufer unserer heutigen Büchereien.
Warum die Mädchen mehr als die Jungen lesen
Erst um 1910 gab es dann im Deutschen Reich die ersten deutschen Kinderlesehallen. Die Bibliotheksleitungen hatten frühzeitig erkannt, dass für die Bibliothek auch Werbung gemacht werden musste. Zuvor waren Bibliotheken reine Erwachsenenbibliotheken, in denen Kinder sowieso nichts zu suchen hatten. Jetzt wurden die Kinder eingeladen, die Lesehallen zu besuchen, um sie rechtzeitig an Bücher heranzuführen. Da die Jungen meist drängelten, gab es Tage, an denen durften dann nur die Mädchen rein und die Jungs mussten draußen bleiben. Vielleicht lesen deshalb heute mehr Mädchen als Jungs? Was meinst du?
Die Idee, die hinter einer eigenen Abteilung für Kinder stand, war, die Kinder von so genannter Schund- und Schmutzliteratur fern zu halten.
Äußerst beliebt bei Mädchen: der Trotzkopf
Um die Jahrhundertwende entstand eine Form von Literatur, die sich speziell an Mädchen richtete und die man auch manchmal als "Backfischliteratur" bezeichnete. Vielleicht kennst du den "Trotzkopf", ein Buch, das mehrmals verfilmt wurde und das seine literarische Vorlage schon im Jahre 1885 hatte? Da nämlich schrieb die Autorin Emily von Rhoden (1829-1885) ihren Trotzkopf, der weit mehr als 100 Jahre immer wieder von jungen Mädchen und Frauen gelesen wurde.
Der Trotzkopf entsprach dem Frauenbild der Zeit
Dieser Trotzkopf-Roman, in dem ein freiheitsliebendes, unabhängiges und widerspenstiges Mädchen über Internatserziehung sich am Ende doch noch anpasst und einen liebenden Mann findet, kam dem Frauenbild der Zeit durchaus entgegen. Und es entsprach auch den Sehnsüchten vieler junger Mädchen, den richtigen Mann zu finden, der sie auf Händen trug und gut versorgte.
In der Folge erschienen viele weitere Trotzkopf-Fortsetzungen und Folgebände, die nicht immer etwas miteinander zu tun hatten. Die ersten drei Bände stammten noch von der Tochter Emily von Rhodens, Else Wildhagen (1861-1944).